VISION ZERO konkret
Verkehrsexpertentag der Verkehrsunfall-Opferhilfe Deutschland e.V. (VOD): Schwere Unfälle verhindern – Tempo verringern!
6. Oktober 2023. Tempo 50 innerorts, Tempo 100 auf Landstraßen und kein Tempo-limit auf etwa 70 Prozent der deutschen Autobahnen: Geschwindigkeit ist die entscheidende Größe für die Entstehung von Unfällen mit Schwerverletzten und Getöteten.
Gemäß der Vision Zero soll kein Mensch im Straßenverkehr getötet oder schwer verletzt werden. Wer das ernstnimmt, muss laut VOD unbedingt an diesen Stellschrauben drehen: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts, Tempo 80 auf Landstraßen und ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Die Senkung der Geschwindigkeiten würde die Wirksamkeit weiterer Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit deutlich steigern.
Dies war auch der Tenor beim 21. VOD-Verkehrsexpertentag unter der Schirmherrschaft von Minister Herbert Reul am 29. September 2023 in Duisburg, moderiert von Kirsten Lühmann, MdB SPD bis 2021.
Dr. Daniela Lesmeister,
Staatssekretärin im Ministerium des Innern des Landes NRW, betonte in ihrer Begrüßungsrede vor etwa 150 Zuhörerinnen und Zuhörern, dass es eine großartige Sache sei, der Vision Zero nahekommen zu wollen. Allerdings sei dies auch ein ehrgeiziges Ziel, bei dem alle Akteure auf ihren jeweiligen Plätzen gebraucht würden.
Bei der Tagung in der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW (HSPV) wurde es dann konkret:
Prof. em Bernhard Schlag
von der TU Dresden begründete die Notwendigkeit der Senkung von Geschwindigkeiten unter anderem damit, dass ein komplexes System wie der Straßenverkehr resilient sein, also in der Lage sein müsse, Fehler zu kompensieren. Dazu brauche es die notwendige Zeit, die bei hohen Geschwindigkeiten fehle. Bereits eine Abnahme der durchschnittlichen Geschwindigkeit um fünf Prozent bewirke eine Verringerung der Unfälle mit Getöteten um etwa 20 Prozent. Das gelte für alle Straßentypen innerorts und außerorts.
Präsentation: ➔ 1. Prof. Dr. Berhard Schlag – Geschwindigkeit
Wulf Hoffmann
von der Deutschen Polizeigewerkschaft betonte, dass knapp 60 Prozent der bei Verkehrsunfällen in Deutschland Getöteten auf Landstraßen ums Leben kommen. Laut Unfallforschung sei eine Verbesserung der Verkehrssicherheit auf Landstraßen durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h erwartbar. Auf entsprechend ausgebauten Straßen könne auch Tempo 100 zulässig sein. Um einen Überholdruck zu vermeiden, solle die Regelgeschwindigkeit für Pkw und Lkw gleichermaßen bei 80 km/h liegen.
Präsentation: ➔ 2. Wulf Hoffmann – Tempo 80
Prof. Dieter Müller
von der Hochschule der Sächsischen Polizei forderte, dass die von der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland vorgegebene Schutzpflicht des Staates im Verkehrssektor stärker zur Geltung kommen müsse. Der Gesetzgeber habe dazu die Weichen zu stellen. Bund, Länder und Kommunen müssten den Stellenwert der Verkehrssicherheit erhöhen. Das Alkoholverbot am Steuer solle beispielsweise auf alle Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer erweitert und konsequent durchgesetzt werden.
Videopräsentation: Dieter Müller – Verkehrsüberwachung
Peter Schlanstein,
Dozent an der HSPV und geschäftsführender Vorstand der VOD, begründete die Notwendigkeit, das Strafmaß bei Verstößen im Straßenverkehr an internationale Standards anzupassen. Es müsse umso höher ausfallen, je mehr das Verkehrsverhalten einer Person andere Menschen gefährde. Er forderte, dass die Event Data Recorder (EDR), die ab Juli 2022 in allen Kfz mit neuer Typzulassung in der EU verbaut sind, bei schweren Unfällen mit Personenschaden uneingeschränkt zur Unfallanalyse ausgewertet werden dürfen. Das diene der Gerechtigkeit für Unfallopfer und der Unfallprävention.
Präsentation: ➔ 4. Peter Schlanstein – Sanktionen und digitale-Daten
Ulrich Schreiner,
Geschäftsführer der Björn Steiger Stiftung, erläuterte eindrucksvoll, wie sehr die Notfallversorgung in Deutschland zurzeit unter Druck steht, um ihrem Auftrag, Menschenleben zu retten, wenigsten einigermaßen nachkommen zu können. Er forderte, dass der Anspruch der Versicherten auf eine ständig erreichbare Gesundheitsleitstelle und notfallmedizinische Versorgung einschließlich Rettungsdienst im Sozialgesetzbuch festgeschrieben werden müsse.
Präsentation: ➔ 5. Ulrich Schreiner – Notfallversorgung
Arno Wolter,
Geschäftsführer der „Initiative für sichere Straßen“, stellte eine deutschlandweite Gefahrenstellenkarte im Straßenverkehr vor. Die digitalen Tools können von Kommunen, der Polizei, von Mobilitätsanbietern, Unternehmen, Verkehrsteilnehmenden und Schulen zur besseren Unfallprävention verwendet werden. Die detaillierte Risikobewertung des inner- und außerstädtischen Straßennetzes könne vor Gefahrenstellen sensibilisieren und genutzt werden, um diese gefährlichen Stellen zu beseitigen. Die Früherkennung von Gefahrenstellen könne Leben retten und die Verkehrssicherheitsarbeit erleichtern.
Präsentation: ➔ 6. Arno Wolter – Gefahrenstellenkarte
Martin Tönnes,
Vorstandsmitglied des Verkehrsclub Deutschland e.V., erläuterte die zentralen Handlungsfelder des VCD. Besonders am Herzen lagen ihm die Verbesserung der Wege zur Kita und zu Schulen. Dafür benötige es neben einem Tempolimit von 30 km/h innerorts beispielsweise flächendeckende, sichere und komfortable Radwegenetze, die Trennung von Geh- und Radwegen, fahrrad- und fußgängerfreundliche Ampelschaltungen sowie sichere Kreuzungen.
Präsentation: ➔ 7. Martin Tönnes – Schutz der Ungeschützten
Dr. Jürgen Bönninger
von der FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH führte detailliert aus, wie gut Assistenzsysteme in Kraftfahrzeugen Insassen und Unfallbeteiligte schützen können und wie intensiv und lange entwickelt und getestet werden muss, bis der Nachweis der Sicherheit automatisierter, vernetzter Fahrfunktionen erbracht ist. Um den Unfallhergang und die Schuldfrage klären zu können, seien die Aufzeichnungen des EDR 30 Sekunden vor und 10 Sekunden nach einem Unfall notwendig, etwa für den Fall einer Kollision mehrerer Fahrzeuge. Wenn die Sachverständigen diese Daten, die sämtlich in einem Fahrzeug enthalten sind, zur Verfügung hätten, würden laut Bönninger mehr Unfallopfer den Nachweis für ihre Ansprüche führen können.
Präsentation: ➔ 8. Dr. Ing. Jürgen Bönninger – Assistenzsysteme in Kfz
Im Jahr 2021 wurde die Vision Zero in die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung aufgenommen. Am Tag des VOD-Expertentages, dem 29. September 2023, hat der Bundesrat vorgeschlagen, im Straßenverkehrsgesetz (StVG) sei das Ziel zu berücksichtigen, „dass niemand durch Verkehrsunfälle sein Leben verlieren oder schwer verletzt werden soll (Vision Zero).“ Durch die Verankerung auf Gesetzesebene soll die besondere Bedeutung der Vision Zero hervorgehoben und zu einer Maxime in der behördlichen Praxis erhoben werden.
Den guten Absichten müssen jetzt Taten folgen, so die Forderung der VOD.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des VOD-Verkehrsexpertentags erhielten druckfrisch die Ausgabe Nr. 2 der VOD-Schriftenreihe mit dem Titel „VISION ZERO konkret“, in der 25 Autorinnen und Autoren Maßnahmen und Strategien zur Verhinderung schwerer Verkehrsunfälle beschreiben. Das Werk vervollständigt die bei der Tagung präsentierten Ansätze zur Verbesserung der Verkehrssicherheit.
Eine PDF-Version kann kostenlos von der Website der VOD heruntergeladen werden:
➔ https://vod-ev.org/vod-schriftenreihe-nr-2-vision-zero-konkret/
➔ https://vod-ev.org/vod-schriftenreihe-nr-1-verkehrsunfaelle-und-unfallopfer/
Alle Informationen zum Verkehrsexpertentag finden Sie unter unserer Themen-Kategorie:
➔ https://vod-ev.org/category/aktuelles/verkehrsexpertentag/
Pressekontakt:
Peter Schlanstein Geschäftsführender Vorstand
Verkehrsunfall-Opferhilfe Deutschland e.V. (VOD)
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