Deutscher Verkehrsexpertentag 2018 – Begrüßungsrede, Herr Herbert Reul

Begrüßungsrede von Herrn Herbert Reul, Innenminister des Landes NRW, auf dem Deutschen Verkehrsexpertentag 2018 in Münster (Westf.) am 20. November 2018 im Bildungszentrum „Carl Severing“

(Die volle Rede finden Sie als PDF zum Download am Ende der Seite)

Ich freue mich sehr, die Schirmherrschaft für den Deutschen Verkehrsexpertentag 2018 übernehmen zu dürfen. Der heutige Tag steht unter dem wichtigen Thema „Versorgung somatischer und psychischer Verkehrsunfallfolgen“. Es dreht sich also alles um die Betreuung und Nachsorge für Verkehrsunfallopfer.
Auf unseren Straßen gibt es immer noch viel zu viele Unfälle. Die Zahlen sind alarmierend. Denn die Zahl der bei Verkehrsunfällen Getöteten stieg im Vergleich zum Vorjahr. Es wird ein Anstieg von rund 6% prognostiziert. Besonders hervorheben möchte ich die Unfälle durch Pedelecs. Hier stieg die Zahl der Verunglückten auf 1.839. Das bedeutet ein Anstieg um 48,8%, der aus den vorläufigen Zahlen unserer Landesstatistik hervorgeht. Ein Großteil der Verunglückten waren Senioren.
Pedelecs scheinen durch ihren Motorantrieb das Radfahren, gerade für Senioren, zu erleichtern. Die im Alter dazugewonnene Mobilität beflügelt und lässt Senioren wieder aktiv am Straßenverkehr teilnehmen, birgt jedoch auch Gefahren. Es wird z.B. die Geschwindigkeit unterschätzt und die Reaktionsfähigkeit nimmt ab.
Auch auf Bundesautobahnen gibt es leider einen Anstieg. Gerade die Auffahrunfälle an den Stauenden steigen. Und diese Auffahrunfälle enden oft tödlich.
Fast 400.000 Menschen in ganz Deutschland und knapp 80.000 Menschen in NRW werden jährlich bei Verkehrsunfällen schwer- oder leichtverletzt. Hinter jedem einzelnen Verstorbenen verbirgt sich unendliches Leid und ein familiärer Schicksalsschlag. Menschen werden von einer Sekunde auf die andere aus dem Leben gerissen, und nichts erscheint mehr so, wie es vorher war. Solche Unfälle passieren. Leider. Jeden kann es treffen. Aber Verkehrsunfälle sind meist kein Schicksalsschlag! In 95% aller Fälle werden sie von Menschen verursacht und sind somit vermeidbar. Selbstüberschätzung, hohes Tempo, Unachtsamkeit, Ablenkung, insbesondere durch Handy. Keine Whatsapp ist ein Menschenleben wert! Alles menschliches Versagen. Also kann jeder von uns dazu beitragen, die Unfallquote zu reduzieren.
Aber ich möchte auch einmal das Miteinander im Straßenverkehr ansprechen. Die Aggressivität der Verkehrsteilnehmer untereinander wird immer größer. Und das nicht nur bei Autofahrern, sondern auch bei Radfahrern. Mit ein bisschen mehr Rücksicht aufeinander wären viele Unfälle vermeidbar.
Die Unfallvermeidung ist der beste Opferschutz. Prävention und Repression sind gleichermaßen gefragt. Im Straßenverkehr gibt es keine Kavaliersdelikte. Wir brauchen konsequente Kontrollen und Sanktionen bei Verstößen. Mit ihnen kann man unfallträchtigen Verhaltensweisen entgegenwirken.
Aber auch die Polizei mit ihrer täglichen Unfallpräventionsarbeit sorgt in ganz Deutschland dafür, den Straßenverkehr Stück für Stück sicherer zu machen.
Ein wichtiges Thema der Unfallprävention ist die Ursachenforschung. Warum kommt es zu Unfällen? Was könnte man verbessern? Technisch, aber vielleicht auch in der Ausbildung der jungen Verkehrsteilnehmer. Dabei ist die Gesellschaft für Ursachenforschung e.V. (GUVU) ein wichtiger Partner. Und ich freue mich, dass Sie heute den Tag mit unterstützen.
Wo Prävention und Repression nicht mehr helfen und es zu einem Unfall gekommen ist, muss Hilfe geleistet werden, in jeglicher Form. Und dabei geht es nicht nur um die Wiederherstellung der körperlichen Gesundheit. Es geht auch um die nicht sichtbare Schädigung, um die seelischen Verletzungen. Jedes vierte Unfallopfer leidet an psychischen Folgeerkrankungen. Es kommt zu
Depressionen, Schlaflosigkeit, Ängsten. Sie benötigen psychologische Hilfe. Schnelle psychologische Hilfe. Da sind sechs Monate Wartezeit auf einen Therapieplatz zu lang.
Viele Unfallopfer haben Schwierigkeiten, sich in ihren Alltag wiedereinzufügen. Die sichere Teilhabe am Straßenverkehr wird erschwert. Auch die Fortführung des Berufs kann nach einem Unfall eine große Herausforderung darstellen. Und manchmal gelingt eine vollständige Genesung nicht. Dann ist das Leben nicht mehr so, wie man es sich vorgestellt hat. Alle Pläne und eingeschlagenen Wege sind zunichte gemacht. Dann muss für den Betroffenen und dessen Umfeld ein neuer Weg gefunden werden. Es ist vielleicht ein anderer Weg, aber ein gangbarer. Auch hierzu benötigt es viel Unterstützung.
Unfallopfer ist nicht unbedingt nur der, der bei einem Unfall unmittelbar körperlich geschädigt wurde. Nein, auch sogenannte Sekundäropfer – wie Zeugen oder Ersthelfer – können von dem, was geschehen ist, psychisch extrem beeinträchtigt sein. Auch diese Menschen brauchen Hilfe. Besonders betroffen ist aber auch das nähere Umfeld des Geschädigten. Familien und Freunde, die die Verunfallten pflegen und auch wieder auffangen. Man kann sich vorstellen, dass diese Belastungen einen oft an die eigenen Grenzen bringen.
Mit dem Schicksal einer Verletzung – körperlichen wie seelischen – umzugehen, nach vorne zu blicken, weiterzumachen, ist extrem schwierig. Eine schnelle, effektive Betreuung und Versorgung nach einem Verkehrsunfall verbessern die Rehabilitation und leisten einen wichtigen Beitrag zur Verkehrssicherheit. Die Polizei NRW aber kümmert sich. Sie lässt keine Verkehrsunfallopfer allein. Weder Primär- noch Sekundäropfer. Vielmehr stellt sich durch die Kooperation mit der Verkehrsunfall-Opferhilfe Deutschland e.V. (VOD) flächendeckend sicher, dass Geschädigte die nötige Hilfe bekommen können. Darum bin ich Ihnen dankbar, dass Sie alle heute hier als Experten helfen, das Thema der angemessenen Versorgung von Verkehrsunfallopfern voranzutreiben.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Tagung mit vielen produktiven Diskussionen und hilfreichen neuen Erkenntnissen.

Vielen Dank.

 

Zum PDF: VET-2018_Rede-Reul.pdf